Yinan Diao

2007
Night Train (2007)
Yinan Diao
China
91′
Die 30-jährige Wu Hongyan arbeitet am Gericht der Provinz Shaanxi in China, wo sie als Henkerin zum Tode verurteilte Frauen hinrichten muss. Trotz der makaberen Arbeit steigt Wu Hongyan jedes Wochenende in den Zug und fährt in eine Stadt, wo sie am organisierten Abendprogramm einer Partnervermittlungsagentur teilnimmt. Ihre Liebesabenteuer sind mittelprächtig, bis sie den hübschen Li Jun trifft. Sie weiss jedoch nicht, dass Li Jun der Ehemann jener Frau ist, welche sie als Ietzte hingerichtet hat. Wer das chinesische Filmschaffen über die Jahre hinweg verfolgt hat und insbesondere auch noch jene Zeit, in der die operettenhaften Grossproduktionen von Gnaden der kommunistischen Partei an westlichen Festivals präsentiert wurden, staunt heute nicht schlecht über die unbändige Kraft der Unabhängigkeit, die sich da entwickelt hat. Die jungen Filmschaffenden Chinas pfeifen auf das, was der Apparat sich immer noch vorstellen mag. Sie nehmen ihre Kameras und filmen das Leben. Und einige gehen, wie Yinan Diao, noch viel weiter: Sie blicken hinein in die Abgründe einer Gesellschaft, die einem schier unerträglichen Wandel ausgesetzt ist und irgendwie selber damit fertig werden muss. Yinan Diao hatte bereits das Drehbuch für den lebensdampfenden «Spielfilm» Shower von Zhang Yang geschrieben. Hier legt er seine eigene Regiearbeit vor, die mit zum Packendsten gehört, was uns aus China inden letzten Jahren erreicht hat. Keine Komödie, kein Martial-Art-Märchen mit fliegenden Säbelrasslern, kein Epochengemälde und auch keinen Hauch von Bedienung exotischer Sehnsüchte. Nein: Night Train bietet eine schonungslose Innenansicht Chinas und ist ein Film, der aus sich selber heraus über das Betrachtete erzählt und über die Art, wie sein Autor betrachtet. Man muss sich dieser Betrachtung aussetzen, um zu erleben, wie ein Bildermensch es schafft, eine Atmosphäre der Vereinsamung zu gestalten, eine Welt, in der Frauen und Männer auf der Suche nach Zärtlichkeit sind und die gleichzeitig darauf angelegt ist, ihnen alles Sanfte auszutreiben. Aussen ist da innen, ein zutiefst unterkühltes Zeitbild und ein Kunstwerk in äusserster Konsequenz, kurz: ein Stück Kino, das unter die Haut geht. Walter Ruggle
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